Visionssuche
Im Juli war ich auf meiner zweiten 12-tägigen Visionssuche, diesmal in Meck-Pomm, ein paar Kilometer südlich der Ostsee.
Ich hätte nie vermutet, dass es dort noch eine so wilde und heile Waldlandschaft gibt: jahrhundertealte Eichen, riesige majestätische Buchen, rauschende Pappeln und Nadelhölzer machten den Wald so vielseitig und lebendig. Dazwischen Büsche, Steine und wunderschön bemoostes Totholz voller Leben und Geschichten.
Mit etwas Fantasie entstanden beim Betrachten daraus die wunderbarsten Fabelwesen – wie Drachen, Erdfrauen oder Schlangen. Der Wald war belebt von unzähligen Tierarten, Schnecken, Käfern, Insekten, Schmetterlingen, Dachse, Füchse, Wildschweine, Feldhasen und bellenden Rehböcken.
Die Vogelgesänge bildeten, bis auf die wenigen Stunden in der Nacht, einen ständigen Klangteppich.
Kraniche flogen rufend über uns hinweg, Milane kreisten über unseren Köpfen, und auch der Adler stieß dann und wann seinen ganz eigenen Schrei aus.

Das Camp war direkt am Waldrand aufgebaut, ein Küchenzelt mit Koch- und Essbereich und daneben ein Zelt, das wir bei Regen für unsere Council-Kreise nutzen konnten. Meistens saßen wir jedoch unter freiem Himmel, mit dem Wind, der Sonne und dem Gras unter unseren Füßen.
Wir waren insgesamt zwölf Menschen zwischen 27 und 65 Jahren, die gekommen waren, um in dieser Zeit in unsere Tiefe hinabzusteigen, einen Wandlungszyklus zu durchschreiten und uns in eine neue Geschichte unseres Lebens zu transformieren.

In den ersten Tagen geht es darum zu erkennen, welche alten Beschlüsse, Verhaltensweisen in mir verankert sind, die damals in meiner Kindheit überlebensnotwendig waren, doch heute meine Essenz und Lebendigkeit beeinträchtigen und verschleiern.
Über das Bewusstwerden und auch die Würdigung dieser alten Geschichten erfolgt dann der entscheidende Schritt: sie zu verabschieden, sie sterben zu lassen – und mich in eine neue Geschichte zu initiieren. Eine neue innere Haltung, die meine Essenz zur Entfaltung bringen und mich in eine neue Kraft und Wahrheit führen kann.

Mit dieser neuen Geschichte sind wir dann alle vier Tage und vier Nächte alleine fastend und nur mit einer einfachen Dachplane über dem Kopf in die Wildnis gezogen.
Diese Zeit da draußen ist alles zugleich. Da sind einmal die vielen Emotionen von ängstlich, einsam und traurig oder auch gelangweilt, bis hin zu beglückt, lachend und verbunden. Hinzu kommt die körperliche und mentale Anstrengung. Jede*r von uns erlebt sich in dieser Ausnahmesituation anders.

Ich habe diese Zeit oft als eine Prüfung erlebt. Bin ich wirklich bereit, für meine neue Geschichte zu gehen und mich meiner Wahrheit da draußen zu stellen, auch wenn mir diese nicht immer gefällt? Was ist, wenn ich meine Vorstellungen loslasse und mit dem bin, was jetzt ist?
In diesen Wildnistagen habe ich die große Pendelbewegung zwischen den Polen – zwischen Kapitulation und Mutlosigkeit bis hin zu Glücksmomenten und Visionen – erleben dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Was diese Erfahrung ebenso berührend, besonders und tief macht, sind die Menschen – die anderen Teilnehmer*innen und das Leitungsteam. In kürzester Zeit werden aus Fremden wertvolle Weggefährt*innen, die sich im Kreis ehrlich und wahrhaftig begegnen.
Es ist die Liebe, die durch die so einzigartigen persönlichen Geschichten fließt. Das aufrichtige Zuhören, Spiegeln, Bezeugen – mit dem Herzen anwesend sein.
Zudem können wir uns über die Erzählungen der anderen selbst wiederfinden. Das Gehörte hilft uns, an verborgene oder verdrängte Orte unserer eigenen inneren Seelenlandschaft vorzudringen – und somit helfen und inspirieren wir uns gegenseitig auf unseren Wandlungspfaden.
Der sichere Raum, der von unseren zwei sehr erfahrenen wundervollen Visionssucheleiter*innen gehalten wurde, hat uns getragen. So ein großes Ritual braucht einen geschützten, kraftvollen, vertrauensvollen Rahmen, damit es sich entfalten kann.

Und dann webt sich alles ineinander – die Menschen, das Land, der Wald, die Tiere, die Sonne, der Regen, alle menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen der Erde kommen in diesem EINSRAUM zusammen und  in der gemeinsamen Mitte wird diese große Geschichte vom Heiligen, von der Liebe, der Gemeinschaft und Verbundenheit lebendig.

Greta Horn, 3.8.25
Back to Top